Stadt. Rad. Fluss

Inspirationen einer Multikulti-Radfahrerfamilie

„Klar war es eine Umstellung, nach St. Pölten zu ziehen“, lacht Jaqueline. „Ich komme aus Brasilien, aus São Paulo. Das ist ein großer Unterschied. São Paulo hat zwölf Millionen Einwohner und ist riesig. Ich war auch schon in São Paulo viel zu Fuß unterwegs, hauptsächlich in meinem Stadtteil. Das habe ich anfangs in St. Pölten auch gemacht, doch mit dem ersten Kind wollte ich dann doch schneller unterwegs sein, um die Alltagsbesorgungen zu erledigen.“
Das war vor zehn Jahren. Jaqueline stieg auf Fahrrad mit Anhänger um. Mittlerweile hat sie ein Lastenrad und vier Kinder: Giuliano (10), Pedro (8), Livie (6) und Leticia (2). Alle vier wurden in St. Pölten geboren und haben sowohl die österreichische als auch die brasilianische Staatsbürgerschaft. „Wir sind ein kompletter Mischmasch! Die Kinder tragen den Nachnamen meines Mannes, den auch ich bei der Hochzeit angenommen habe. Mein Vater ist italienischer Abstammung und so wollte ich zumindest, dass die Vornamen auf die Wurzeln vonseiten meiner Familie hinweisen.“
 

Einzig ihren Anwaltsberuf darf Jaqueline nicht ausüben. Dazu müsste sie die österreichische Staatsbürgerschaft annehmen und die brasilianische abgeben. „Wenn ich nicht in Karenz bin“, lacht Jaqueline, „arbeite ich in der Rechtsabteilung einer Versicherung. Das passt gut.“
Ehemann Markus ist waschechter St. Pöltner. Seine Familie habe sie von Anfang an mit offenen Armen empfangen, erzählt Jaqueline. An die meisten Dinge im österreichischen Alltag sei sie mittlerweile gewöhnt, doch mit einigen kulturellen Unterschieden tue sie sich nach wie vor schwer. Das dürfe aber ruhig so sein. „Mittlerweile lebe ich gut damit – außer mit dem Wetter!“

Die Brasilianerin ist eine leidenschaftliche Radfahrerin, doch nicht nur sie: Die ganze Familie fährt ausschließlich mit dem Fahrrad, selbst die Kinder. Entweder sie treten selbst in die Pedale oder sitzen vorn im Lastenrad – je nach Wegstrecke und Wetter. Jaqueline und Markus wohnen mit ihren Kindern im Süden von St. Pölten. Die drei Kilometer zur internationalen Volksschule schaffen Pedro und Livie mit links! Und auch Markus nimmt für den Weg zur Arbeit bei der Landesgesundheitsagentur das Fahrrad. Das Familienauto steht die meiste Zeit über herum. „Mit dem Auto muss ich immer Parkplatz suchen, ich bleibe im Verkehr stecken. Das ist total unpraktisch.“ Aktuell ist das Radwegenetz von St. Pölten ca. 160 Kilometer lang, und es soll in den kommenden Jahren wesentlich erweitert werden. Außerdem ist die Fußgängerzone in der Innenstadt für RadfahrerInnen geöffnet – bei Schritttempo und unter gegenseitiger Rücksichtnahme, versteht sich.

Jaqueline kann sich ein Leben ohne Fahrrad gar nicht mehr vorstellen: „Wir sind eine Radfahrerfamilie! Es ist gut für die Gesundheit, ökologisch und es macht Spaß. In St. Pölten geht das super. Wir suchen uns die Wege, wo es nicht so viel Verkehr gibt.“ Zugegeben: Immer sind die Kinder nicht begeistert davon, in die Pedale zu treten. „Aber mit einem Eis in Aussicht haben es die beiden Großen im Sommer sogar schon bis zum Donaurestaurant in Traismauer und zurück geschafft. 56 Kilometer!“

Fotos: www.raff.at